ZU GUTER LETZT  

Alles super, alles Stuttgart: Warten im Nix

Klaus Birk, Kabarettist

Ist Ihnen auch so anders? Der Körper will sich freuen, will Bier trinken und Verlierer umarmen. Die Seele schreit nach Public und Viewing, sehnt sich nach Netzer und Delling. Aber es ist halt nix los. Wo du hinsiehst, keine Leinwand. Da fl ankt kein Lahm, da köpft kein Ballack, da hält kein Kahn den Lehmann. Es ist einfach nix los!

Wer sich einmal an vollumarmte Freudenschreie gewöhnt hat, braucht diesen Jubeltaumel einfach. Aber eben nicht den schlichten, verkristen, nein, den runden, aufgeblasenen, den an- und abgepfiffenen mit Kick.
Ohne Fußball-WM oder Europameisterschaft findest du doch kaum einen, mit dem du dich gegen andere freuen kannst.

Und wohin mit dem Mitleid? Du willst einen Verlierer trösten, ihm sagen: „Ihr hättet es auch verdient zu gewinnen. Ihr habt eine super Mannschaft, aber man kann eben nicht immer siegen. Diesmal sind wir die Besseren und ihr fahrt nach Hause. Das nächste Mal ist es umgekehrt, da fahrt ihr nach Hause und wir gewinnen.“

Es tut so gut, Verständnis und Mitgefühl zu haben. Nur, für wen und warum? Klar gibt’s Gartenfeten, Wein- und Stadtfeste. Aber wen triffst du dort? Schwaben, meinetwegen auch Deutsche, vielleicht sogar Schweizer und mit Glück auch Menschen aus der ganzen Welt. Sie schauen dich an aus leeren Augen, ohne Trikot, ohne Nationalfarben auf der Backe.
Keiner siegt, keiner gewinnt. Keiner hofft, niemand bangt. Es fehlt das Runde im Eckigen. Es ist nicht dasselbe.

Nirgends wehen bunte Fahnen, nirgends hupen goldkettchen-behängte Südmenschen, keine Flachland- Holländer lächeln auf dich herab, kein Türke kebapt dich auf die Schulter, und nirgendwo räkeln sich junge brasilianische Bikinis auf hochgetuneten Macho-Hauben. Die Straßen atmen verzweifelt ihren Feinstaub in städtische Lungen. Vögel verzwitschern sich am Ast, Laster donnern. Da kotzt kein Fan, da brennt kein Trikot. Nicht mal ein Autokorso hämmert „We are the Champions“ in die schwer schwingende schwäbische Nacht.

Wo sind die Nationalhymnen? Wo die zum Himmel erhobenen Gesichter? Wo sind die Hände auf den Klaus Birk, Kabarettist Herzen? Da wird nicht vemutet, prophezeit, befürchtet, niemand hat es schon immer gesagt, keiner hat Unrecht und gewinnt fünf Bier in Lebertran. Keine Formanalyse weit und breit, da wird nirgends vorverloren und nirgends nachgewonnen. Da wird nicht mal eine völlig neue Taktik mit Füßen ins ungelederte Grün getreten. Es ist einfach nix los.

Man weiß nicht mal mehr, warum man heulen soll. Die Wirtschaftskrise wäre ja ideal für Frustgeheul. Aber die gibt’s halt nicht als Public Viewing.
So läuft der Körper voller Sehnsucht zum kleinen Schlossplatz. Aber da ist nix. Nicht mal blaue Plastik-Pinkelbuden geben dort deinen Augen Hoffnung. Nichts, wohin die Seele weint. Kein Schmerz, kein Elfmeterschießen, da geht kein Ball an den Pfosten, kein Schuss in die Blamage übers Tor. Die Hand greift zur Flasche. Aber der Schluck ist sinnlos, der Rausch ohne Heimat. Man weiß gar nicht, wie man das auch nur einen Tag länger aushalten soll.

Noch ein Jahr bis Südafrika. Eine Ewigkeit. Und wir wissen nicht mal, ob wir dabei sind am Gut der gekapten Hoffnung.

Über was sollst du dich da freuen dieses Jahr? Die Stadtratswahlen gaben dafür nicht viel her. Die Europawahl hat dir ihre Plakate vor die Nase gehängt. Da war nicht ein Bild mit Ball. Was ist das für eine Wahl?

Manche schauen verzweifelt die Spiele vom letzten Jahr nochmal an. Aber es ist nicht dasselbe. Die Luft ist raus aus dem getretenen Leder. Es ist einfach nicht dasselbe. Was bleibt, ist der totale Gefühlsstau und irgendwie muss es raus. Aber wo und wie?

Erst hab ich einen Baum umarmt und mich danach über das Leben gefreut. Aber was ist das noch für ein Leben? Nur noch ein Spiel ohne Ball. Es ist nicht dasselbe. Irgendwie freut man sich seit Wochen ins Leere.

11.07.2009

(Ausgabe Juli 2009)