Interview mit Ernst Messerschmid

„Ernst, are you ready to go?“

Vor genau 25 Jahren – vom 30. Oktober bis 6. November 1985 – war er als dritter deutscher Astronaut im All. Als erster Wissenschaftler wurde der Professor an der Universität Stuttgart im September 2010 mit dem Hans-Peter-Stihl-Preis der Region Stuttgart ausgezeichnet.
GOOD NEWS: Herr Messerschmid, war der Start in den Weltraum am 30. Oktober 1985 der schönste Tag in Ihrem Leben?
Ernst Messerschmid: Nein, aber es war sicherlich der aufregendste Tag. GOOD NEWS: Wenn Sie sich noch einmal daran erinnern – wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Ernst Messerschmid: Vieles wurde schon Wochen vorher geprobt, aber es mutet dann doch eigenartig an, wenn man gefragt wird: „Ernst, are you ready to go?“ So wird jedes Crewmitglied noch mal persönlich angesprochen. Ich hatte das Starten der Shuttles schon oft im Abstand von drei Kilometern gesehen. Wenn man dann selbst drin sitzt, hört man zunächst ein Zischen gefolgt vom Donnern der Triebwerke. Der Tritt in den Hintern wie er kräftiger nicht sein könnte indes war neu. Und im Gegensatz zu unseren Erfahrungen auf der Erde lässt der nicht sofort nach in der Wirkung, sondern erst nach acht Minuten, wenn in 400 Kilometern Höhe die Triebwerke abgeschaltet sind.

GOOD NEWS: Welche Untersuchungen haben Sie im Weltraum gemacht?

Ernst Messerschmid: Die Gebiete waren breit gestreut: Medizin, Biologie, Material- und Grundlagenwissenschaften wie Strömungstechnik. In der Medizin ging es zum Beispiel darum, herauszufi nden wie das Gleichgewichtsorgan funktioniert. Bei den Pfl anzen hat man erstmals in Serienmessungen festgestellt, wo überhaupt die Pfl anze Schwerkraft wahrnimmt und wie sie wächst, wenn sie plötzlich keine Schwerkraft mehr verspürt. Wir hatten Gartenkresse dabei. An ihr erforschten wir, wie es einer Wurzel ergeht, wenn es keine Schwerkraft mehr gibt. Das Ergebnis: Prompt wachsen die Wurzeln in alle Richtungen.

GOOD NEWS: Wer war mit Ihnen im Weltraum?

Ernst Messerschmid: Wir waren acht Astronauten – zum ersten und letzten Mal in der Geschichte der Raumfahrt. Davon waren zwei Piloten, drei Wissenschaftler und drei, die sich hauptsächlich um das Shuttle gekümmert haben.

GOOD NEWS: Wie haben Sie den Alltag im All erlebt?

Ernst Messerschmid: Wir hatten eigentlich drei Schichten à zehn bis zwölf Stunden. Aber weil wir am Anfang viele Reparaturen hatten, mussten wir zum Schluss teilweise 14 bis 16 Stunden arbeiten. Wir hatten auch noch ein Leck und dann hieß es, wenn ihr das nicht fi ndet, müsst ihr am zweiten Tag zurückkommen, weil die Luft ausgeht.

GOOD NEWS: Hatten Sie keine Angst, dass Sie gar nicht mehr zurückkehren?

Ernst Messerschmid: Eigentlich nicht, ich war psychologisch in einer sehr guten Situation. Die Amerikaner brachten – trotz Apollo13 – bis dahin alle Astronauten wieder gesund auf die Erde zurück.

GOOD NEWS: Wie muss man sich den Blick von dort oben auf die Erde vorstellen?

Ernst Messerschmid: Man hat immer das Gefühl, dass man selbst im Ruhezustand ist und dass die Erde sich unter einem durchdreht. Am Horizont kommen in Flugrichtung immer neue Landschaften hoch, das ist phantastisch. Man sieht in eine Richtung bis zum Horizont 2.000 Kilometer weit. Es ist auch wunderbar, die Landschaften zusammenhängend zu sehen.

GOOD NEWS: Die Planungen für den siebentägigen Flug dauerten fast drei Jahre. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Ernst Messerschmid:
Zunächst ging es hauptsächlich darum, die Wissenschaftler und deren rund 75 Experimente kennen zu lernen und zu verstehen. Im Jahr vor dem Start war ich hauptsächlich bei der NASA zum Sicherheitstraining für das Space-Shuttle und Teilsimulationen des Flugs.

GOOD NEWS: Hat dann der tatsächliche Flug mit den großen Erwartungen, die Sie hatten, übereingestimmt?

Ernst Messerschmid: Eigentlich sogar übertroffen, obwohl es nach ein, zwei Tagen wegen des Lecks gar nicht danach aussah.

GOOD NEWS: Was war Ihr prägendstes Erlebnis in diesen sieben Tagen?

Ernst Messerschmid: Die letzten Stunden, die Vorbereitung auf die Landung. Man muss zu diesem Zeitpunkt die Ladebuchttüren schließen. Es war an der Tag-/Nachtgrenze und die Sonne streute am Horizont. Man hatte noch mal einen Blick auf die Erde und ich hatte meine Lieblingsmusik – ein schönes Klavierkonzert – dabei. Dieser Moment hat sich eingeprägt.

GOOD NEWS: Sie bilden auch Nachwuchs- Astronauten aus. Was ist Ihnen dabei wichtig?

Ernst Messerschmid: Es sind vor allem Erfahrungen aus dem psychologischen Bereich, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, wie man mit der Familie umgehen muss. Denn die Astronauten müssen offen mit ihrer Familie und ihren Kindern über die Risiken reden, auch als Zeichen dafür, dass es ein gefährlicher Job ist. Mich hätte es auch treffen können, denn die Challenger stürzte ja beim nächsten Flug dann ab.

GOOD NEWS: Nach Ihrem Flug wurden Sie als Professor an die Universität Stuttgart berufen. Was erforschen Sie derzeit am Institut für Raumfahrtsysteme?

Ernst Messerschmid: Wir haben hier jährlich einen Design-Workshop, wo wir zukünftige Raumstationen und -fahrzeuge zu ferneren Zielen modellieren und simulieren. Dann halte ich noch Vorlesungen über bemannte Raumfahrt. Sonst beschäftige ich mich viel mit Innovation, Wissenstransfer, Unternehmensgründung und Fachkräftemangel.

GOOD NEWS: Werden Sie das 25-jährige Jubiläum feiern?

Ernst Messerschmid: Ja, mit der Crew zusammen: In der Woche des Starts kommen die ganzen Kameraden aus Amerika und werden berichten.
Wir sind in Berlin, Bremen, Speyer und am 28. Oktober um 16 Uhr an der Universität Stuttgart.

GOOD NEWS: Herr Messerschmid, wir danken Ihnen herzlich für das Interview und wünschen Ihnen bei Ihren Forschungen alles Gute. (EE)
Weitere Informationen:
Name: Ernst Messerschmid
Geburtsjahr/-ort: 21.05.1945 in Reutlingen
Zeit im Weltraum: 30.10.1985 – 6.11.1985
Ehrungen: - Bundesverdienstkreuz Erster Klasse - Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg - NASA Space Flight Medal - Goldene Hermann-Oberth- Medaille - Ehrendoktorwürde der TU Dresden - Hans-Peter-Stihl-Preis der Region Stuttgart

16.10.2010
(Ausgabe 16. Oktober 2010)