Pfarrer Helmut Müller setzt sich in Stuttgart aktiv für Kunst, Kultur und Bildung ein. (Bild: Thomas Rathay/Hospitalhof)

Interview mit Pfarrer Müller

Stuttgarter Bildungsgut

Wir sitzen in einem Besprechungszimmer mit Blick in den Innenhof des Bildungszentrums Hospitalhof. Pfarrer Helmut A. Müller spricht ruhig und bedächtig, aber nicht über Gott und die Welt, sondern über Psychologie, Literatur, Kunst und andere Bildungsaufträge.
GOOD NEWS: Herr Pfarrer Müller, wie und wann hat die Arbeit des Bildungszentrums Hospitalhof begonnen?
Helmut A. Müller: Die Grundüberlegungen gehen auf das Ende der 1970er-Jahre zurück. Damals gab es Untersuchungen, wie sich die Innenstadtgemeinden in Stuttgart entwickelt haben und künftig entwickeln werden. Die Entwicklung der Gemeindemitgliederzahlen der Hospitalkirche war besonders krass: Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Hospitalkirche noch 15.000 Gemeindemitglieder; das Viertel bestand vor allem aus repräsentativen Wohnhäusern. Durch die Flächenbombardierung im Zweiten Weltkrieg wurde all das zerstört; der Wiederaufbau sah eine vorwiegend behördliche Nutzung, Geschäfte und Banken vor. Und natürlich hat sich mit den Nachkriegsjahren auch die konfessionelle Struktur Stuttgarts verändert.
GOOD NEWS: Dadurch schrumpfte auch die Zahl der Gemeindemitglieder der Hospitalkirchengemeinde.
Helmut A. Müller: Richtig. Und zwar auf heute rund 750 Mitglieder. 1979 wurde Martin Klumpp Gemeindepfarrer. Er hatte den Auftrag, sich Gedanken zu machen, wie die ehemaligen Klosteranlage mitten in der Stadt belebt werden könnte. Er setzte auf Bildungsarbeit, und zwar nicht nur für die Gemeinde, sondern für alle interessierten Bürger aus Stuttgart und der Region. Im Januar 1980 begann er mit einem Programm von etwa 40 Vorträgen, Seminaren und auch politischen Diskussionen. Ein weiterer Schwerpunkt waren Gesprächsgruppen für Menschen in Krisensituationen. Diesem Engagement ist Martin Klumpp bis heute treu geblieben.
GOOD NEWS: Seit 1987 leiten Sie das Bildungszentrum Hospitalhof. Seither hat sich einiges verändert.
Helmut A. Müller: Ja, es ist tatsächlich einiges passiert. Noch in der Zeit meines Vorgängers gab es eine Initialzündung, die weit über die Stuttgarter Stadtgrenzen hinaus wirkte. Er hatte die berühmte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross zu einer Reihe von Vorträgen eingeladen und wurde vom Publikum buchstäblich überrannt. Die Leute kamen wirklich von überall her, das Bildungszentrum Hospitalhof war plötzlich in aller Munde.
GOOD NEWS: Psychologie, Philosophie und Kunst haben in Ihrem Programm einen festen Platz. Das spricht für eine weltoffene evangelische Kirche.
Helmut A. Müller: Wir berufen uns auf die Wurzeln des Protestantismus. Schon Martin Luther und Philipp Melanchthon haben auf Bildung gesetzt, weil sie der Meinung waren, dass die Kirche Menschen braucht, die die Bibel selbst lesen und auslegen können. Weitere Wurzeln sind der Humanismus und die Aufklärung – und hier kommen in der Tat Weltsichten ins Spiel, die über ein enges Verständnis von Kirche, Konfession und Glaube hinausgehen.
GOOD NEWS: Stößt diese Offenheit auch manchmal auf Kritik?
Helmut A. Müller: Bei uns werden keine Menschen und keine Themen ausgeschlossen. Wenn unsere Besucher mit Kritik reagieren, versuchen wir, mit ihnen zu diskutieren. Nehmen Sie zum Beispiel die zeitgenössische Kunst, die wir in unseren Räumen und auch im Kirchenraum selbst zeigen. Der Zugang zur Gegenwartskunst ist natürlich nicht immer einfach. Hier sehen wir uns gefordert, Vermittlungsarbeit zu leisten.
GOOD NEWS: Diese Offenheit eines Pfarrers gegenüber der Kunst erlebt man eher selten. Steckt dahinter auch eine persönliche Neigung von Ihnen?
Helmut A. Müller: Ich habe den Bereich Kunst auf- und ausgebaut, weil ich der Meinung bin, dass der kreative Umgang mit der Welt denselben Stellenwert hat wie die Natur- und die Geisteswissenschaften. Ohne Kunst würde uns im Umgang mit der Welt etwas fehlen. Und mir ganz besonders.
GOOD NEWS: Wie sehr prägen Sie insgesamt das Programm des Hospitalhofs?
Helmut A. Müller: Die Letztverantwortung trage ich als Leiter des Bildungszentrums Hospitalhof. Die großen thematischen Linien werden im Leitungskreis, einem Kreis von 15 bis 20 Ehrenamtlichen, diskutiert. Ohne diesen Kreis und das Engagement von weiteren 80 bis 90 ehrenamtlichen Mitarbeitern könnten wir all das, was hier passiert, unmöglich bewältigen.
GOOD NEWS: Muss man sich den Leitungskreis wie eine Art Aufsichtsrat vorstellen?
Helmut A. Müller: Nein, eben nicht. Eines der Geheimnisse unseres Erfolgs besteht darin, dass es ausschließlich Mitstreiter gibt.
GOOD NEWS: Wenn man Ihr Programm mit 400 bis 500 Veranstaltungen im Jahr auf einen Nenner bringen wollte, dann könnte man von Vielfalt auf höchstem Niveau sprechen.
Helmut A. Müller: Das klingt gut. (lacht) Nein, im Ernst: Wir haben erkannt, dass wir als Bildungseinrichtung in Stuttgart den wachsenden Ansprüchen einer hochgebildeten Klientel nicht durch Querschnittarbeit gerecht werden, sondern nur durch ein anspruchsvolles und differenziertes Programm. Diese Vielfalt zeichnet das Bildungszentrum Hospitalhof aus – gestern, heute und in Zukunft.
GOOD NEWS: Herr Pfarrer Müller, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch. (RC)
Steckbrief
Name:
Helmut A. Müller
Geburtstag/-ort:
9. Januar 1949 in Nordheim bei Heilbronn
Beruf:
Pfarrer
Werdegang:
  • 1968-73 Studium der Theologie in Tübingen und Mainz
  • 1978-87 Pfarrer an der Stiftskirche Backnang
  • 1987-96 Pfarrer an der Hospitalkirche Stuttgart
  • 1987-heute Leiter des Evangelischen Bildungszentrums Hospitalhof Stuttgart und Prediger an der Hospitalkirche Stuttgart

(Bild: Hospitalhof)
02.01.2010
(Ausgabe Januar 2010)