Juli-Kolumne Klaus Birk

Alles super, alles Stuttgart: Geballte Freude

Klaus Birk, Kabarettist

Was haben wir gelitten, was haben wir uns gefreut. Diese WM ist ein Whirlpool der Gefühle. Als Schwabe bist du doch auf solches Vergnügen überhaupt nicht vorbereitet. Da haben wir die Krise in unseren Gesichtern willkommen geheißen und den Frustfalten eine Heimat geboten; unseren Stimmen gaben wir unter großen Opfern den Klang der Schwermut und Hoffnungslosigkeit; den Geldsorgen folgend pilgerten wir jeden Montag zur Demo gegen den Tiefbahnhof und huldigten dem getunnelten Frust auf Schienen und nun unterwandert eine WM auf afrikanischem Boden mit Permanentbehummelung und FrischGenussGekicke unser Streben nach Leiden.

Für dieses Dauergrinsen, diesen Gutdrauf-Marathon fehlt dir als Normalhiesiger die Muskulatur im Gesicht. Deshalb kommt man als Schwabe auf die Welt, um nichts zu lachen zu haben. Und falls doch, wird dafür dezent in die Unterwelt, den kühlen Keller abgestiegen und das Grinsen dort dem Schimmel zum Frass vorgeworfen.

Die Mundwinkel permanent oben zu halten, ist bei uns schon in der Genetik nicht vorgesehen. Zudem passt diese FreudenFresse überhaupt nicht zur Landschaft. Waldig dunkel ist unser Gemüt, grimmig grün unser Gesicht und gebückt der Gang.

Sonst hätten wir ja gleich als Badener auf die Welt kommen können. Diese Jubelhominiden freuen sich jeden Tag über Sonne, Mond und Sterne, ihren Wein, den SC Freiburg und darüber, dass sie keine Schwaben sind.

Und jetzt kommt King Soccer und macht die Deutsche Nationalmannschaft zum bundesweiten MundwinkelViagra und wir verschwabten Württemberger können uns nicht dagegen wehren.

Vier zu Null gegen Argentinien. So hoch kann sich doch kein normaler Mensch freuen. Bei Zwei Null macht bei uns der Muskel zu. Allein das Erreichen des Halbfinales ist die blanke Herausforderung für das Gesicht eines Stuttgarter Aborigines. Da hast du dir über Jahre die Mundwinkel gen Knie trainiert, sie im Frust auf den Jakobsweg zum großen Zeh geschickt und jetzt hast du alle Mühe sie nicht im Rausch des Jubeltrubels bis zur Stirn hoch hopsen zu lassen.

Und was ist, wenn das nicht mehr weggeht? Wenn der Fun sich in der Visage festfrisst und womöglich noch permanente Tränen des Glücks die Wangen bekullern? Am Ende denkt der Nachbar noch, du könntest ihn leiden und er soll auf ein Bier rüberkommen.

„The Mannschaft“ hat uns verzaubert, in Grillabende und Biergartenfeste katapultiert, in Gartenparties getrieben und public geviewte Vuvuzeligkeit hervorgerufen. Und wir sind ihr gefolgt wie die gelederten Lemminge und haben uns ins Meer der ungebremsten Wonne gestürzt.

Sind wir so leicht vom Weg abzubringen? Geben wir so leicht aus dem Antlitz, was unsere Vormütter und Vorväter über Generationen in unser Erbgut eingegraben haben?

Was nur ist aus der guten alten schlechten Laune geworden? Was aus dem Schwarzsehen für alle Gelegenheiten? Und wo überhaupt ist die Krise geblieben und der Weltuntergang? Und wer in aller Welt ist Frau Merkel?

Jetzt geht es auch noch der Wirtschaft besser und die Zahl der Beschäftigten steigt. Sind denn alle meschugge geworden? Wird am Ende auch noch alles gut? Wer will denn so was?

Können wir uns nicht normal wie die fußballgetretenen Griechen, Italiener, Franzosen und Engländer im Frust wälzen und mit beißender Kritik übereinander herfallen? Die Gesichter sagen: Nein. Es ist zu spät. Unsere Muskeln geben dieser Freude ein Zuhause.

Schon werden in Einkaufsketten erste Notfallsets für jubelgeplagte Landeskinder angeboten: Frustmasken oder wie es im Verkaufsjargon heißt: freudenfeste Leidensminen.

Wer hätte vor der WM gedacht, dass es mal so weit mit uns kommen könnte?

10.07.2010
(Ausgabe Juli 2010)