11. Französische Woche

Über Kehrwoche und Spätzle

Karine Guillan-Pott spricht im GOOD NEWS-Interview über Vorurteile und kulturelle Unterschiede.

In Karine Guillan-Potts Wohnung stehen alte Möbel aus Frankreich, Bilder der Familie hängen an den Wänden, verführen zum Spickeln. Licht durchflutet den weiten Flur. Karine passt in ihre Wohnung wie jedes der liebevoll ausgewählten Möbelstücke: eine zierliche Frau, schick aber schlicht gekleidet. Ihr französischer Akzent schmeichelt der Mutter von drei Kindern.

GOOD NEWS: Sprechen Sie mit Ihren Kindern eigentlich Deutsch oder Französisch?

Karine Guillan-Pott: Ich habe Deutsch an einer Hochschule in Münster gelernt – theoretisch. In der Praxis lernt man aber das meiste. Mit meinen Kindern spreche ich mal Deutsch, mal Französisch. Sie antworten mir auf Deutsch. Ich schimpfe aber nur auf Französisch. Meine Kinder sagen, es klingt lächerlich, wenn ich auf Deutsch schimpfe.

GOOD NEWS: Bevor Sie mit Ihrer Familie vor sechs Jahren nach Stuttgart kamen, haben Sie bereits in Portugal, Spanien und Norddeutschland gewohnt. Bald ziehen Sie nach Brasilien. Kann Stuttgart überhaupt mit den Städten in anderen Ländern konkurrieren?

Karine Guillan-Pott: Auf jeden Fall. Wir werden nach Brasilien auch wieder zurück kommen. Diesmal, um zu bleiben. Am Anfang war ich eher skeptisch. Ich wollte nicht nach Stuttgart. Doch dann waren alle so nett zu uns. Schon an kleinen Gesten zeigten sie uns, dass wir willkommen sind. Gesten wie ein kurzes Gespräch oder ein Lächeln.

GOOD NEWS: Dennoch sind Sie dem Verein Stuttgart Accueil e. V. beigetreten, um sich regelmäßig mit anderen Franzosen zu treffen. Stimmt es eigentlich, dass Franzosen lieber unter sich bleiben?

Karine Guillan-Pott: Die Sache ist die: Man fühlt sich in seiner eigenen Sprache und seiner eigenen Kultur einfach wohler. Man lacht über dieselben Dinge und kann spontan reagieren – ohne Rücksicht zu üben oder lange darüber nachzudenken.

GOOD NEWS: Stimmt es, dass Franzosen beharrlich in ihrer eigenen Sprache sprechen, statt Touristen mit Englisch oder Deutsch entgegen zu kommen?

Karine Guillan-Pott: (lacht) Ja, das stimmt. Mit wenigen Ausnahmen lassen sich Franzosen nur ungern auf andere Sprachen ein.

GOOD NEWS: Woran liegt das?

Karine Guillan-Pott: (überlegt lang) Es hat wohl damit zu tun, dass sich Franzosen nicht blamieren wollen. Deutsche reisen viel und sind es gewohnt, sich anzupassen. Franzosen bleiben für ihren Urlaub im eigenen Land. Dazu kommt, dass Franzosen doch recht arrogant sind, wenn es um die französische Sprache geht.

GOOD NEWS: Franzosen sind aber auch in der Küche recht arrogant, oder?

Karine Guillan-Pott: Zu Recht, oder? (lacht) In der Schwäbischen Küche gibt es immer nur dasselbe: Spätzle und Maultaschen. Das war’s. In Frankreich ist das nicht so. Wenn ich koche, tue ich das mit dem Ziel, meine Familie zu überraschen. Details machen für mich den Reiz des Kochens aus. Ich hätte keine Lust zu kochen, wenn ich immer das Gleiche kochen würde. Das macht doch gar keinen Spaß!

GOOD NEWS: Sie haben drei Kinder im Alter von 13 und 11 Jahren und ein Baby im Alter von 10 Monaten. Welches Schulsystem finden Sie besser - das deutsche, oder das französische?

Karine Guillan-Pott: Das deutsche Schulsystem ist meiner Meinung nach besser. In Frankreich sind die Kinder zwar bis in den Abend hinein in der Schule, mittwochs haben sie aber den ganzen Tag frei. Deshalb ist in Frankreich die 35-Stunden-Woche so wichtig. Außerdem haben die Kinder in Deutschland mehr Zeit für außerschulische Aktivitäten. In Frankreich bleibt kaum Zeit für andere Dinge. Ich finde auch, dass die Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern beziehungsweise Kindern in Deutschland viel einfacher ist. Wenn ich in Deutschland ein Problem habe, gehe ich in die Sprechstunde und rede direkt mit dem betroffenen Lehrer. In Frankreich muss ich die Elternsprecher dazwischen schalten. Da kommt man überhaupt nicht ins Gespräch mit den Lehrern.

GOOD NEWS: Welche Klischees über Stuttgart haben sich für Sie bestätigt?

Karine Guillan-Pott: (lacht) Dass die Stuttgarter geiziger sind als andere, das stimmt. Und sie sind sehr stolz auf ihre Gastronomie. Die Sache mit der Kehrwoche habe ich mir allerdings schlimmer vorgestellt. In Stuttgart muss nicht immer alles perfekt sein. Die Stuttgarter sind übrigens im Vergleich zu anderen Nationen sehr offen gegenüber anderen Kulturen. Ich habe auch selten erlebt, dass ich jemanden nicht verstanden habe. Sobald Stuttgarter meinen Akzent hören, sprechen sie dialektfrei.

GOOD NEWS: Verraten Sie uns Ihre gute Nachricht der letzten Woche?

Karine Guillan-Pott: Eine sehr gute Nachricht war, dass es Probleme mit dem Visum meines Mannes gab – denn dadurch konnte er erst eine Woche später nach Brasilien. Das war die beste Nachricht der ganzen Woche!

GOOD NEWS: Frau Guillan-Pott, vielen Dank für das Interview! (JUS)

23.10.2010
(Ausgabe 23. Oktober 2010)